Rezension / Charlotte McConaghy - Die Rettung


Rezensionsexemplar als Print

★★★   5     Sterne 

Die Rettung
Erschienen bei Fischer
Hardcover (24,-€)
Übersetzung: Jan Schönherr
Erscheinungstermin: 28.05.2025
 368 Seiten

𝕊𝕡𝕠𝕚𝕝𝕖𝕣𝕗𝕣𝕖𝕚𝕖 ℝ𝕖𝕫𝕖𝕟𝕤𝕚𝕠𝕟


Manchmal legt man ein Buch zur Seite und braucht erstmal ein paar tiefe Atemzüge – einfach, um das Gelesene sacken zu lassen. Die Rettung war für mich genau so ein Buch. Charlotte McConaghy schafft es mal wieder, mich mit ihrem eindringlichen Stil und dieser ganz besonderen Mischung aus Poesie und roher Realität mitten ins Herz zu treffen.


Ich wusste beim Aufschlagen schon, dass mich keine leichte Lektüre erwartet – aber was ich bekommen habe, war noch viel mehr: eine stille, drängende Geschichte, die sich langsam wie Nebel über alles legt. Die Kulisse? Eine abgelegene, vom steigenden Meer bedrohte Insel irgendwo am Ende der Welt. Die Atmosphäre ist rau, fast schon unheimlich schön – ein Ort, an dem sich Natur und Mensch ständig herausfordern, manchmal auf zärtliche, manchmal auf brutale Weise.


Als dann in einer Nacht eine Fremde angespült wird, beginnt ein Kammerspiel, das intensiver kaum sein könnte. Es ist nicht nur die Frage, wer sie ist – sondern vor allem, was ihre Ankunft in den Menschen auf der Insel auslöst. McConaghy schreibt nicht einfach Figuren, sie erschafft ganze Seelenlandschaften. Dominic, die Kinder, die Unbekannte – sie alle tragen ihre Brüche, ihre Hoffnungen, ihre Wunden. Und ich konnte gar nicht anders, als mich in jede dieser Stimmen einzufühlen.


Was mich besonders gepackt hat: Diese Geschichte spielt in einer Zukunft, die sich beängstigend real anfühlt. Die steigenden Meeresspiegel sind keine Kulisse, sondern eine ständige Bedrohung – fast wie ein weiteres, stummes Mitglied der Erzählung. Und genau da liegt für mich die große Stärke des Romans: Er erzählt von Liebe, Verlust, Verantwortung – aber eben nicht in einer heilen Welt, sondern in einer, die langsam untergeht. Das macht Die Rettung so beklemmend aktuell und gleichzeitig zutiefst menschlich.


Für mich ist dieses Buch ein echtes Highlight. Keine schnelle Unterhaltung, sondern ein Werk, das bleibt. Es macht nachdenklich, rührt, schmerzt und leuchtet – manchmal alles auf einmal. Und obwohl das Thema schwer ist, liest es sich mit einer Intensität, die fast schon süchtig macht.


Wer Geschichten mag, die unter die Haut gehen, sich Zeit nehmen und mutig in düstere, aber auch hoffnungsvolle Ecken unserer Welt blicken – dem kann ich Die Rettung nur wärmstens ans Herz legen. Ein stilles Meisterwerk, das lange nachhallt.


Rezension von Silvana


Rezension / Siân Hughes - Perlen

 

Rezensionsexemplar als Print

★★★   4    Sterne 

Perlen
Erschienen bei Dumont
Hardcover (23,-€)
Übersetzt: Tanja Handels
Erscheinungstermin: 13.05.2025
 272 Seiten

𝕊𝕡𝕠𝕚𝕝𝕖𝕣𝕗𝕣𝕖𝕚𝕖 ℝ𝕖𝕫𝕖𝕟𝕤𝕚𝕠𝕟


Das hier ist kein gewöhnlicher Roman über Verlust und Kindheitstraumata. Es ist ein leises, eindringliches Buch, das lange nachhallt, ohne laut zu werden.


Die Ich-Erzählerin Marianne nimmt einen mit in eine Welt, die irgendwie entrückt und trotzdem erschreckend nah wirkt. Ihre Mutter verschwindet spurlos, als sie acht Jahre alt ist – und obwohl dieser Moment eigentlich der Anfang vom Ende sein müsste, ist er eher der Beginn einer lebenslangen Suche nach Bedeutung, nach Zusammenhängen, nach Antworten. Dabei bleibt vieles unausgesprochen, aber das ist genau die Stärke dieses Romans: Er vertraut darauf, dass man zwischen den Zeilen liest.


Was mich besonders berührt hat, ist die poetische Sprache, die nie zu dick aufträgt. Es gibt keine prahlerischen Bilder, keine erzwungenen Metaphern – eher eine schlichte Schönheit in den Beschreibungen, wie sie etwa durch den Duft von frischem Lavendel oder das Plätschern des nahen Flusses durchscheint. Diese kleinen Details, scheinbar nebensächlich, tragen viel zur melancholischen Atmosphäre bei.


Natürlich gibt es auch Stellen, an denen ich das Gefühl hatte, der Roman verliert sich ein wenig in seiner eigenen Zartheit – manche Passagen ziehen sich, andere bleiben bewusst vage, fast so, als wolle die Autorin den Leser bewusst im Nebel lassen. Das kann frustrierend sein, wenn man wie ich ein Freund klarer Auflösungen ist. Trotzdem: Diese Offenheit passt zum Thema. Erinnerung ist nun mal kein glasklarer Film, sondern eher ein Mosaik aus Licht, Schatten und Lücken.


Was Perlen für mich letztlich lesenswert macht, ist die kluge Art, wie hier über Trauer gesprochen wird – nicht als Katastrophe, sondern als Teil des Lebens, mit dem man sich irgendwie arrangieren muss. Und darüber, wie schwer es manchmal ist, sich von alten Fragen zu lösen, besonders wenn man selbst Mutter wird.


Fazit: Ein stilles, intensives Debüt mit viel Feingefühl, das mich nicht umgehauen, aber definitiv bewegt hat. Keine leichte Kost, aber genau das Richtige für ein Wochenende, an dem man mehr fühlen als verstehen will. Ein Buch, das bleibt – wie ein Lied, das man nicht mehr ganz aus dem Kopf bekommt.


Rezension von Silvana



Rezension / Patricia Holland Moritz - Drei Sommer lang Paris

 


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★★★   5     Sterne 

Drei Sommer lang Paris
Erschienen bei Aufbau
Hardcover (24,-€)

Erscheinungstermin: 12.03.2025
 426 Seiten

𝕊𝕡𝕠𝕚𝕝𝕖𝕣𝕗𝕣𝕖𝕚𝕖 ℝ𝕖𝕫𝕖𝕟𝕤𝕚𝕠𝕟


Ich habe dieses Buch gelesen und es eigentlich eher verschlungen – wie ein Stück Croissant, das man nicht kauen, sondern direkt auf der Zunge zergehen lassen will. Drei Sommer lang Paris ist kein klassischer Paris-Roman mit Eiffelturm und Baguette-Romantik, sondern ein sehr lebendiger, ehrlicher, fast filmisch erzählter Blick auf eine Stadt und eine junge Frau, die beide in Bewegung sind.


Ulrike – 21, neugierig, mutig bis zur Naivität – springt ohne Netz ins Leben und landet mitten in Paris, ohne Sprachkenntnisse, ohne Plan, aber mit einem unerschütterlichen Drang nach Freiheit. Ich habe sie sofort gemocht. Vielleicht, weil sie nicht diese überzeichnete Heldin ist, sondern ein Mensch, der sich treiben lässt, mal scheitert, mal staunt, mal sich selbst verliert – und dadurch immer echter wird.


Was mich besonders beeindruckt hat, ist, wie Patricia Holland Moritz diese Zeit – den Sommer ’89, die letzten Atemzüge der DDR, das vage Gefühl von „etwas Großem“ – in die Atmosphäre hineinschreibt, ohne dass es jemals belehrend oder pathetisch wirkt. Geschichte schwingt hier eher im Hintergrund mit wie eine alte Melodie, die man nicht mehr ganz zuordnen kann, aber sofort wiedererkennt.


Der Schreibstil ist angenehm unprätentiös – oft poetisch, aber nie überladen. Man merkt, dass hier jemand schreibt, der viel beobachtet hat, der die Ränder der Stadt kennt, nicht nur die Postkartenmotive. Die Begegnungen, die Ulrike hat – mit anderen Auswanderern, mit Parisern, mit sich selbst – wirken so beiläufig und gleichzeitig bedeutungsvoll, dass ich mich mehr als einmal gefragt habe, wie viel davon wohl autobiografisch ist.


Was bleibt nach der Lektüre? Ein bisschen Wehmut. Ein bisschen Aufbruchsstimmung. Und das Gefühl, dass man manchmal einfach in einen Zug steigen muss, auch wenn man das Ziel noch nicht aussprechen kann.


Für mich ein ganz besonderes Buch – leise, ehrlich, mutig und sehr nah dran am echten Leben. Ich kann es jedem empfehlen, der Lust auf eine Geschichte hat, die nicht laut daherkommt, aber lange nachhallt.


Rezension von Silvana



Rezension / Melissa Müller - Mit dir steht die Welt nicht still, Eine Liebe nach dem Holocaust

 

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★★★   4    Sterne 

Mit dir steht die Welt nicht still
Erschienen bei Diogenes
Hardcover (25,-€)

Erscheinungstermin: 23.04.2025
 336 Seiten

𝕊𝕡𝕠𝕚𝕝𝕖𝕣𝕗𝕣𝕖𝕚𝕖 ℝ𝕖𝕫𝕖𝕟𝕤𝕚𝕠𝕟


Als ich das Buch aufschlug, wusste ich, dass es keine leichte Geschichte werden würde – aber ich hätte nicht gedacht, dass sie mir so unter die Haut geht. Mit dir steht die Welt nicht still ist keine klassische Liebesgeschichte, sondern vielmehr ein leises, tief empfundenes Echo aus einer Zeit, in der Hoffnung ein mutiger Akt war.


Nanette und John begegnen sich zufällig – zumindest aus ihrer Sicht. Für ihn ist es sofort klar: Diese Frau ist etwas Besonderes. Was sich daraus entwickelt, ist eine zarte, verletzliche Annäherung zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch eine Sprache finden – die der Briefe. Und genau diese Briefe sind es, die das Buch für mich so besonders machen. Die Worte, die sie wählen, die Unsicherheiten, das vorsichtige Tasten in einer Welt nach dem Grauen – das wirkt alles unglaublich authentisch.


Was mich besonders bewegt hat, war Nanettes Hintergrund. Ihre Freundschaft zu Anne Frank, ihre Zeit in Bergen-Belsen, das Überleben, das eigentlich keines ist, sondern ein mühsames Weiterleben mit Erinnerungen, die kaum zu ertragen sind. Melissa Müller gelingt es, all das ohne Pathos, aber mit großer Empathie zu erzählen. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich direkt neben Nanette sitze, wenn sie ihre inneren Kämpfe ausfocht.


Warum also keine fünf Sterne? Vielleicht, weil mir stellenweise der literarische Feinschliff gefehlt hat. Manche Passagen hätten etwas kompakter sein dürfen, einige emotionale Momente wirken leicht wiederholt – als wolle die Autorin sicherstellen, dass man das Gewicht der Geschichte auch wirklich spürt. Das tut man aber ohnehin. Und zwar lange über das letzte Kapitel hinaus.


Am Ende ist es ein stilles Buch mit großer Wirkung. Es zeigt, dass Liebe kein Allheilmittel ist – aber sie kann ein Anfang sein. Und manchmal reicht das, um weiterzumachen.


Fazit: Bewegend, nachdenklich, hoffnungsvoll – ein Buch, das keine falschen Versprechungen macht, aber echte Nähe schafft.


Rezension von Silvana



Rezension / Kerstin Holzer - Thomas Mann macht Ferien , Ein Sommer am See

 


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★★★   4,5     Sterne 

Thomas Mann macht Ferien 
Erschienen bei KiWi
Hardcover (22,-€)

Erscheinungstermin: 10.04.2025
 208 Seiten


𝕊𝕡𝕠𝕚𝕝𝕖𝕣𝕗𝕣𝕖𝕚𝕖 ℝ𝕖𝕫𝕖𝕟𝕤𝕚𝕠𝕟


Wenn ich ehrlich bin, hatte ich beim Titel zuerst ein leicht spöttisches Lächeln auf den Lippen – Thomas Mann macht Ferien klingt fast wie ein literarischer Abenteuerurlaub. Und genau das ist es auch irgendwie, nur eben auf ganz eigene, feinsinnige Weise. Kerstin Holzer nimmt einen mit an den Tegernsee des Jahres 1918, in eine Zeit, in der die Welt aus den Fugen gerät – während im kleinen Ferienhaus der Familie Mann scheinbar alles seinen gemächlichen Lauf nimmt.


Was mich sofort gepackt hat, ist die Atmosphäre. Dieses Buch riecht förmlich nach warmem Holz, nach See und Heu, nach altem Europa im Übergang. Man hört die Kinder lachen, sieht Thomas Mann mit steifen Bewegungen durchs Gras stapfen – und spürt gleichzeitig, wie sehr die Geschichte unter der Oberfläche brodelt. Die Autorin schafft es mit feinem Humor und einem Hauch Melancholie, ein Panorama dieser Monate zu zeichnen, das ebenso leichtfüßig wie nachdenklich ist.


Besonders gefallen hat mir, wie Holzer Thomas Mann nicht verklärt, sondern mit liebevoller Ironie zeigt: Hier ringt ein großer Geist mit banalen Alltagssorgen – Zahnschmerzen, Familienzank, kreative Blockaden. Dass nebenbei Weltgeschichte passiert, macht die Szenerie nur noch spannungsvoller. Der Kontrast zwischen innerer Zerrissenheit und äußerem Idyll ist großartig getroffen.


Natürlich darf auch Bauschan nicht fehlen – der berühmte Hund, der so treu im Schatten liegt, während sein Herrchen ihn zur literarischen Figur macht. Solche kleinen Details geben dem Buch eine Lebendigkeit, die mir sehr gefallen hat. Es liest sich leicht, aber nie oberflächlich.


Warum keine vollen fünf Sterne? An wenigen Stellen hätte ich mir noch etwas mehr Tiefe in der psychologischen Zeichnung gewünscht. Gerade gegen Ende hätte das Porträt Manns noch eine Nuance dunkler sein dürfen, denn die Verwerfungen dieser Zeit spürt man zwar – sie bleiben aber gelegentlich im Hintergrund, wo sie ruhig mal etwas mehr an die Oberfläche hätten drängen dürfen.


Trotzdem: ein wunderschönes, kluges Buch über einen Sommer, der mehr war als nur Ferienzeit. Eine Lektüre für alle, die Geschichte durch die Hintertür erleben wollen – literarisch, leichtfüßig, aber mit Tiefe. Ich hab es sehr genossen.


Rezension von Silvana





Rezension / Oliver Moody - Konfliktzone Ostsee , Die Zukunft Europas

 

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★★★   5     Sterne 

Konfliktzone Ostsee
Erschienen bei Klett Cotta
Hardcover (28,-€)

Erscheinungstermin: 17.05.2025
 528 Seiten

𝕊𝕡𝕠𝕚𝕝𝕖𝕣𝕗𝕣𝕖𝕚𝕖 ℝ𝕖𝕫𝕖𝕟𝕤𝕚𝕠𝕟


Ich muss zugeben: Als ich das Buch „Konfliktzone Ostsee“ von Oliver Moody zum ersten Mal in den Händen hielt, hatte ich eher eine trockene Analyse erwartet – viel Zahlenwerk, vielleicht ein paar Schauplatzbeschreibungen, aber nichts, was mich groß packen würde. Ich lag komplett daneben.


Moody schafft es, ein geopolitisches Pulverfass nicht nur verständlich, sondern fast schon spannend wie ein Thriller aufzubereiten. Was die acht Ostseeanrainer – von Finnland bis Litauen – politisch und sicherheitstechnisch verbindet (oder trennt), wird hier nicht aus der Distanz betrachtet, sondern mit echter Nähe und einem Gespür für Details erzählt. Ich hatte das Gefühl, als würde ich mit dem Autor durch die Straßen von Tallinn, durch Berliner Regierungskorridore und polnische Grenzregionen streifen. Kein einfacher Draufblick, sondern echte Einblicke.


Besonders beeindruckt hat mich, wie Moody die Stimmung in diesen Ländern einfängt. Die Mischung aus historischer Last, aktueller Bedrohung und neuem Selbstbewusstsein der Region wird spürbar. Und plötzlich wird klar, dass die Ostsee nicht nur eine hübsche Urlaubsregion ist, sondern ein geopolitischer Brennpunkt, in dem sich die Zukunft Europas entscheidet.


Was mir sehr gefallen hat: Moody belehrt nicht. Er deutet, beschreibt, fragt nach. Dabei kommen kluge Stimmen aus Politik, Militär und Gesellschaft zu Wort – ohne dass das Ganze je in Experten-Sprech abdriftet. Und trotz der ernsten Thematik bleibt der Ton sachlich, aber zugänglich.


Das Zusatzkapitel zu den deutsch-polnischen Beziehungen hat mich besonders bewegt – vor allem, weil es nicht nur politische Spannungen beschreibt, sondern auch Brücken aufzeigt, die viel zu selten im Mittelpunkt stehen.


Kurz gesagt: Dieses Buch hat meinen Blick auf Europa verschoben. Wer verstehen will, was sich da im Norden gerade zusammenbraut – politisch, militärisch, gesellschaftlich – kommt an diesem Werk nicht vorbei. Es ist ein Buch zur richtigen Zeit. Und es macht Mut, dass kluge Köpfe wie Moody diese Entwicklungen so klar und engagiert einordnen.


Fünf Sterne von mir – und eine klare Empfehlung an alle, die sich nicht mit Schlagzeilen zufriedengeben wollen.


Rezension von Silvana